Unter geltendem Recht müssen Generalversammlungen nicht zwingend als klassische Präsenzveranstaltungen durchgeführt werden. Die Corona-Pandemie hat aber notgedrungen dazu geführt, dass Generalversammlungen dezentral oder gänzlich auf dem Korrespondenzweg abgehalten werden. Die Vor- und Nachteile der Kommunikation über Video- oder Telefonkonferenzen konnten wir in den letzten Monaten alle erleben – aber was muss bei einer virtuellen GV beachtet werden?
Die Organisation der Generalversammlung liegt in der Verantwortung des Verwaltungsrates. Somit ist dieser auch für die korrekte Durchführung und insbesondere Protokollierung der Versammlung verantwortlich. Formale Mängel können zur Nichtigkeit oder zur Anfechtbarkeit der Entscheide führen. In verschiedenen Formen wird die dezentrale Generalversammlung bereits jetzt durchgeführt. Für börsenkotierte Unternehmen ist die Möglichkeit, dass die Aktionäre auch virtuell an der Generalversammlung teilnehmen können sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Situation unter Corona
Grundsätzlich bleiben die Vorgaben gemäss Obligationenrecht unverändert. Die Durchführung von Generalversammlungen ist jedoch zusätzlich in der Covid-19-Verordnung 3 (Art. 27) geregelt. Demnach kann der Verwaltungsrat nach wie vor entscheiden, dass die Generalversammlung ausschliesslich auf dem schriftlichen Weg, in elektronischer Form oder über einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter durchgeführt wird. Wegen der massiven Einschränkung der Aktionärsrechte auf schriftlichem Weg und bei Einsatz eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters (fehlende Meinungsbildung, Diskussion und Antragsmöglichkeit) sollte von dieser Möglichkeit nur im äussersten Notfall Gebrauch gemacht werden. Insbesondere bei heiklen und umstrittenen Entscheidungen ist der Verwaltungsrat gut beraten, auf die Bedürfnisse der Aktionäre einzugehen und die korrekte Durchführung der Generalversammlung zu gewährleisten.
Hier bietet sich die virtuelle Generalversammlung als Alternative an. Die Teilnehmer nehmen dezentral über Telefon oder Video live an der Versammlung teil, ohne jedoch vor Ort zu sein. Allerdings muss hier die Identifikation der Teilnehmenden gewährleistet werden. Falls die Generalversammlung virtuell stattfindet, so nehmen an der «Rest»-Versammlung dennoch folgende Personen vor Ort teil: ein Vorsitzender, ein Protokollführer/Stimmenzähler, gegebenenfalls der unabhängige Stimmrechtsvertreter, gegebenenfalls Revisionsstellenvertreter und bei beurkundungspflichtigen Beschlüssen ein Notar. Die Stimmabgabe per E-Mail ist nicht möglich, da sie der Schriftlichkeit rechtlich nicht gleichgestellt ist.
Ausblick: Aktienrechtsrevision
Die beschlossene Aktienrechtsrevision im Obligationenrecht hat auch Einfluss auf die Durchführung der Generalversammlung.
- Universalversammlungen können damit ohne Einhaltung der für die Einberufung geltenden Vorschriften auch auf schriftlichem oder elektronischem Weg abgehalten werden, sofern nicht ein Aktionär mündliche Beratung verlangt (Art. 701 Abs. 3 nOR). Zu beachten ist dabei jedoch weiterhin, dass Generalversammlungen über E-Mail nicht möglich sind, da dieser Form die Rechtsverbindlichkeit fehlt.
- Die dezentrale (oder virtuelle) GV wird explizit erlaubt. Die Voten der Teilnehmer müssen in diesem Fall unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden (Art. 701a Abs. 3 nOR).
- Die Generalversammlung kann auch im Ausland durchgeführt werden, wenn die Statuten dies vorsehen und gegebenenfalls ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter bezeichnet wird. Bei KMUs ist ein Verzicht auf den unabhängigen Stimmrechtsvertreter mit Zustimmung aller Aktionäre möglich (Art. 701b nOR).
- Zudem kann der Verwaltungsrat eine unmittelbare elektronische Teilnahme an der Generalversammlung ermöglichen (Art. 701c nOR) oder darf eine GV ausschliesslich virtuell, d.h. ohne Tagungsort, durchführen, sofern die Statuten dies vorsehen und ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter bezeichnet wurde (Art. 701d nOR).
- Der VR muss bei einer virtuellen GV oder einer Teilnahme der Aktionäre auf anderem elektronischem Weg sicherstellen, dass die Identität der Teilnehmenden feststeht. Er ist zudem dafür besorgt, dass die Voten unmittelbar übertragen werden, wenn Teilnehmende Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen sowie Abstimmungsergebnisse nicht verfälscht werden können. (Art. 701e nOR).
Treten während der Generalversammlung technische Probleme auf, die dazu führen, dass diese nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann, so muss sie wiederholt werden. Beschlüsse, welche die Generalversammlung vor dem Auftreten der technischen Probleme gefasst hat, bleiben gültig (Art. 701f nOR). Obwohl die Inkraftsetzung der obigen Änderungen für 2022 angekündigt wurde, ist nach aktuellem Stand mit der Umsetzung erst 2023 zu rechnen. Die Referendumsfrist ist jedoch ungenutzt abgelaufen.
Herausforderung öffentliche Beurkundung
Auch Entscheide einer dezentral durchgeführten Generalversammlung können bzw. müssen allenfalls weiterhin durch einen Notar öffentlich beurkundet werden. Solche Entscheide wurden bis zum Ausbruch der Pandemie häufig vor Ort beim Notar durchgeführt. Die Bedürfnisse der Unternehmung, der Aktionäre und des Verwaltungsrates sowie die Anforderungen des Notars und die vielfältigen rechtlichen Vorgaben (Obligationenrecht, Handelsregisterverordnung, lokale, kantonale und nationale Corona-Regelungen) unter einen Hut zu bringen, ist trotz neuster Technologie (Internet, technisches Equipment) nicht immer einfach. Es lohnt sich deshalb für die Durchführung einer solchen Generalversammlung frühzeitig mit dem Notar Kontakt aufzunehmen und die organisatorischen Rahmenbedingungen abzusprechen.
Gerne unterstützen wir Sie bei der Organisation von Generalversammlungen oder auch bei der Anpassung der Statuten.